Ausführlicher Bericht zur Lessingpreisverleihung

Lessing-Preise des Freistaates am Geburtstag von G.E. Lessing, dem 22. Januar, feierlich vergeben

Zuerst im Lessing-Museum und danach die Eintagung ins „Goldene Buch der Stadt Kamenz“

Die Laudatoren und Preisträger hatte an diesem Tag einiges zu bewältigen. Einige von ihnen besuchten – selbstverständlicherweise – das Lessing-Museum, wo sie von der Leiterin der Städtischen Sammlungen, Dr. Sylke Kaufmann, sachkundig geführt worden. Danach hatte der Oberbürgermeister Roland Dantz zu einem kleinen Empfang in sein Büro eingeladen – quasi eine Art „Warm up“.  Im Rahmen dieses Treffens trugen sich – im Beisein der Staatsministerin für Kultur und Tourismus des Freistaates Sachsen Barbara Klepsch – der Lessing-Preisträger Clemens Meyer sowie die Förder-Preisträger Georg Genoux und Tinas Pruschmann in das „Goldene Buch“ ein.

(v.l.n.r.): Staatsministerin Barbara Klepsch, Georg Genoux,, Tina Pruschmann und Oberbürgermeister Roland Dantz – im Vordergrund Lessing-Preisträger Clemens Meyer.

Fast prophetisch hatte 2007 der damalige Förder-Preisträger Meyer, ebenfalls ins „Goldene Buch, geschrieben: „Mit großer Freude in Kamenz! Komme gern wieder!“ Einige Preisverleihungen später war es dann soweit. Er konnte sich erneut, dieses Mal als Hauptpreisträger im Buch der Stadt Kamenz verewigen. Und so lautet seine Inschrift 2025: „Schön, wieder in Kamenz zu sein! ‚Nichts ist groß, was nicht wahr ist.‘ G.E. Lessing i.V. [sic!] Clemens Meyer – 22.1.2025 – dem Meister zum Geburtstag!“ Nun, wir waren dabei und haben damit Lessings Stellvertreter auf Erden kennengelernt.

Lessing ist ein Glücksfall für die 800-jährige Kamenzer Geschichte

Begrüßt wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Festveranstaltung vom Oberbürgermeister der Stadt Kamenz, Roland Dantz. In seinen einleitenden Worten spielten eine Vielzahl von Themen eine Rolle: So bedankte er sich bei den beiden Kamenzer Lessing-Institutionen – beim Lessing-Museum und der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption –, die in Kamenz, aber auch weit darüber hinaus, dass Erbe von Lessing pflegen und bewahren. Ein Zeichen, wie das Lessing-Museum wahrgenommen wird, sehe er in der großzügigen und bewilligten Förderung zum Umbau und zur Erweiterung des Museums. Der „Spatenstich“ wird voraussichtlich am 19. Mai 2025 sein. Im Weiteren ging er auf die Kontinuität der Lessing-Preisverleihung ein, diese sei nach 1989/90 nicht abgebrochen, sondern – mit sicherlich anderen Akzentuierungen – vom Freistaat fortgesetzt worden. Zuvor war er in der DDR 28 Mal verliehen worden, so u.a. an Heiner Müller, Volker Braun und Christoph Hein. Es ist ein Glücksumstand, dass Lessing hier in Kamenz geboren wurde, aber zugleich auch eine Verpflichtung seinem Erbe gerecht zu werden, was sich u.a. in einer Vielzahl von interessanten und sehr unterschiedlichen Veranstaltungen zu den diesjährigen 55. Lessing-Tagen niederschlägt. Er gratulierte sowohl dem Lessing-Preisträger als auch den beiden Förder-Preisträgern und wünschte der Preisverleihung einen guten Verlauf.

Aufklärung, Toleranz und Achtung der Menschenwürde

Staatsministerin Barbara Klepsch gratulierte ebenfalls den Preisträgern. Lessing habe uns heute noch etwas zu sagen. „Er war zu seiner Zeit“, so die Ministerin, „ein streitbarer Erneuerer, der mit neuen Ideen und brillanten Texten Unruhe in die Gesellschaft seiner Zeit gebracht hat.“ Mit den auch von ihm vertretenen Ideen der Aufklärung, der Toleranz und der Achtung der Menschenwürde, die heute so selbstverständlich erscheinen, habe er Maßstäbe gesetzt, die immer wieder verteidigt werden müssen, gerade auch in den unsrigen Zeiten. Deshalb sei der Lessing-Preis, von Sächsischen Staatsregierung 1993 gestiftet, auch so wichtig, ebenso wie die Kamenzer Lessing-Tage. Mit Blick auf die 800-jährige Geschichte von Kamenz meinte die Ministerin zum Abschluss ihres Grußwortes: „Die Kamenzerinnen und Kamenzer sind stolz auf ihren großen Sohn und sicherlich wäre auch Lessing stolz auf die Bürger von Kamenz.“

Der neugestaltete Lessing-Preis des Freistaates Sachsen

Theater als Tat und nicht als wohlfeile Phrase

Für den Förderpreisträger Georg Genoux hielt der Theaterwissenschaftler und Germanist Prof. Dr. Günther Heeg die Laudatio. Er bezeichnete das Theaterprojekt von Georg Genoux, was im Thespis Zentrum des Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen seine Heimat hat, als ein großartiges und spannendes Projekt, welches gerade in den jetzigen Zeiten Not tut. Es werden Menschen unterschiedlicher Kulturen und politischer Richtungen zusammengebracht, um gemeinsam miteinander Theater zu spielen. Dabei begeben sie sich nicht in eine abgeschottete Kunstsphäre, sondern sie bringen ihre Lebenserfahrungen, Ansichten und Gefühle ein, die mitunter schmerzhaft aufeinanderprallen, aber auch Modelle erarbeiten, wie Unterschiedlichkeit und Individualität bei gegenseitigem Respekt auszuhalten sind. Umso bedauerlicher ist es, dass im Moment der Ehrung der Umstand eingetreten ist, dass die Förderung durch die Sächsische Aufbaubank nicht mehr weiter erfolgt. Hier gäbe es für die politisch Verantwortlichen großen Handlungsbedarf.

Thespis kein Ort der politischen Hetze und Ausgrenzung von Menschen

Der in Hamburg geborene Theater-Regisseur Georg Genoux machte gleich zu Beginn seiner Dankesworte auf die für ihn „groteske Situation“ aufmerksam: „Einerseits war die Freude grenzenlos, als ich von dem Preis erfuhr. Andererseits macht er mir nun umso schmerzhafter bewusst, was wohl verloren ist.“ – da die Finanzierung des Thespis Zentrum ab Januar nicht mehr gesichert ist. Gerade das Unterbreiten von kommunikativen Angeboten für geflüchtete Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen sowie das Zusammenbringen mit der deutschen Bevölkerung bietet die Möglichkeit, für die einen eine sichere Heimstatt zu sein und für die anderen die Lebenswelt – auch in Form des theatralischen Zusammenspiels – kennenzulernen.  Insofern werde das Thespis Zentrum gebraucht. Für die bisher erfahrene Unterstützung durch das Deutsch-Sorbische Theater bedankte er sich ausdrücklich. Und man habe, so Genoux, trotz der schwierigen finanziellen Situation den Willen weiterzumachen, denn gerade „in einer globalisierten und zunehmend vielfältigen Welt baut das soziotheatrale Theater Brücken auf und Vorurteile ab.“

Deutsch-deutsche Geschichte oder der Versuch auch auf Verluste aufmerksam zu machen

Die Laudatio für Tina Pruschmann kam von der Schriftstellerin und Übersetzerin Christine Koschmieder. Erhalten hat Tina Pruschman den Lessing-Preis vor allem für ihr zweites Buch „Bittere Wasser“, indem Geschichte des Zirkuskindes Ida erzählt wird, wie sie und ihre Umgebung die gesellschaftlichen Umbrüche 1989/90 erleben. Zirkus und Gesteine sind Stichworte, von der Wismut AG bis hin zu Tschernobyl wird der Bogen gespannt. Pruschmann erzähle, wie es damals im fiktiven Ort „Tann“, der an Bad Schlema erinnert, war und zeige, was es bedeutet, wenn es zur „Umwertung aller Werte“ kommt. Nichts ist mehr so wie vorher. Vormaliger Respekt und Anerkennung gelten nichts mehr. Auch ein Zirkuszelt mit allem Drumherum ist für eine Westmark zu haben. Wie gehen Menschen mit so einer Werteumwertung um: Zerbrechen oder Kraft für einen Neubeginn? Auf ganz spezifische Weise erzählt Pruschmann von einem Land, dass es als politisch-geografisches Gebilde nicht mehr gibt und das trotzdem nachwirkt.

Abbildung 1Nach der Preisverleihung (v.l.n.r.): Dr. Günther Heeg, Georg Genoux, OB Roland Dantz, Staatsministerin Barbara Klepsch, Clemens Meyer, Katharina Teutsch, Tina Pruschmann und Christine Koschmieder.

Einen Preis anzunehmen, der sich auf den Namen Lessings beruft, ist eine Ehre

Tina Pruschmann begann ihre Dankesrede mit der Skizzierung eines Projekts der Universität Leipzig. Mit zwei ihrer Schreibkolleginnen war sie vergangenen Sommer, im Super-Wahlsommer, als sogenannte „Überlandschreiberinnen“ in Sachsen, Brandenburg und Thüringen unterwegs. Ziel war es, dass „emotionale Unterholz abseits der großen Städte (zu) erkunden.“ Hier – auf dem Lande – findet sie Veränderung, ja auch Verfall und Stillstand vor, aber auch Menschen, die sich dagegenstemmen, die etwas Neues anfangen wollen und dies gemeinsam mit anderen, welche „sich die Offenheit gegenüber der Welt (…) bewahren, ohne den Blick vor den Realitäten zu verschließen.“ Der Förderpreis sei für sie Aufforderung, die Welt in aller ihrer Widersprüchlichkeit, im Kleinen wie im Großen, im Spektakulären und scheinbar Nebensächlichen  zu beschreiben – ganz im Lessingschen Sinne einer „von Vorurteilen freien Liebe“ zu den Menschen.

Natürlich schreibe ich eine Laudatio

So hatte Katharina Teutsch freudig ausgerufen als sie die Anfrage dazu erreichte. Sie selbst sieht sich – sicher mit Augenzwinkern – als „Fan-Girl“, als „Clemens-Meyer-Versteherin“, als "Sympathisantin der meyerschen Geschichtsverdichtungen“. Derart ihr Verhältnis zu Clemens Meyer geklärt, versucht sich Teutsch an dem fast unmöglichen Unternehmen, 1042 Seiten des Opus Magnum von Clemens Meyer „Die Projektoren“ mit wenigen Worten zusammenzufassen. Schon in seinen vorhergehenden Büchern, wie z.B. „Stille Trabanten“ sei in Ansätzen alles vorhanden, was den literarischen Kosmos von Meyer ausmache: das Große und Kleine, Kriege, Vertreibung, Flucht. Dies findet in „Die Projektoren“ seine opulente Entfaltung.  Dem Autor ist ein Werk gelungen, das die Weltläufe und die damit verbundenen Schicksale mitfühlend, dokumentarisch, grotesk, mitunter parodistisch, aber immer wieder mit dem „beglückenden Funken der Aufklärung“ beschreibt. Teutsch: Es ist „ein großer erzählerischer Wurf, der den Roman im Sinne der Moderne noch einmal als Denkmaschine nutzt. Dieses Buch ist das Velebitgebirge [ein Gebirgszug in Kroatien und Bosnien, der im Buch von Meyer eine wichtige Rolle spielt d. Verfasser], durch das man Dir folgt – der Schönheit und der Tretminen, die darin eingeschlossen liegen gewahr.“ Schon im Titel des Buches „Die Projektoren“ scheint die Doppeldeutigkeit, das Hintersinnige auf. Es geht um Medientechnik und Mythenfabrik, um das, was sichtbar wird oder im Verborgenen bleibt. Insgesamt war die Laudatio ein vehement vorgetragenes Plädoyer, sich auf das Wagnis dieses opulenten Buches einzulassen.

Lessing-Preisträger Clemens Meyer bei seinen mit Vehemenz vorgetragenen Dankesworten

Da begann ich zu lesen und zu blättern

Diese Worte beziehen sich auf den Umstand, dass Clemens Meyer – als er sich Gedanken um seine Dankesworte anlässlich der Preisverleihung machte –, feststellt, dass gerade neben seinem Bett, am Kopfende eine Lessing-Gesamtausgabe des Aufbau-Verlages (Herausgeber Paul Rilla) stand. Lessing war ihm also immer nahe. Und er hat geblättert sowie gelesen und Stellen im Werk des Aufklärers entdeckt und zitiert, die mal nicht so hinlänglich bekannt sind. Oder wer kennt schon die Fabel „Das beschütze Lamm“, in der ein sich ein gegenüber einem anderen Wolfshund als Beschützer aufspielender Wolfshund mit seiner Verteidigung des Lamms in Kauf nimmt, dass dieses von beiden Wolfshunden zerrissen wird.

Seine Dankesworte sind geprägt von seinem Schreibstil. Sie zeigen keinen einfachen, offen zutage liegenden Zusammenhang, auch hier sind der Zuhörer (wie sonst der Leser) gefordert, die dargebotenen disparaten Teile selbst in einen Bedeutungs- bzw. Sinnzusammenhang zu bringen. Nicht umsonst zitiert Meyer Gert Neumann, einen für ihn zu Unrecht fast vergessenen großen deutschen Dichter mit folgenden Worten: „Das Chaos ist die Methode, mit der die poetische Fabel des Lebens zu beherrschen versucht wird.“ Diese sei, so fragt Meyer eher, auch in Lessings „Nathan“ zu finden. Die Passage zum „Nathan“ gipfelte in den Worten: „Nathan“ auf allen Schulen, mit allen Schülern, Jahr um Jahr. Mehr braucht man nicht zu fordern, das wäre ein Anfang, „Nathan“ an allen Schulen, mit allen Schülern, Jahr um Jahr. Von Lessing lernen.“ Und „gelernte DDR-Bürger“ vollenden den letzten Satz: „… heißt siegen lernen.“ Von diesem auch ironischen und paraphrasierenden Duktus sind seine Dankesworte geprägt. Eine andere Referenz gilt Wolfgang Hilbig, der u.a. 1997 ebenfalls den Lessingpreis des Freistaates Sachsen erhielt. Er zeigt dabei nicht nur auf eines seiner literarischen Vorbilder, sondern auch auf ein schon zu DDR-Zeiten entwickelten Ansatzes, sich nicht des Vertrauens in die „Empirik der uns umgebenden Zusammenhänge“ berauben zu lassen. Mit anderen Worten: die Realität, das Leben zunächst so wahrzunehmen, wie sie/es ist bzw. dazu vorzudringen. Dies ist Clemens Meyer mit seinem Werk „Die Projektoren“ unzweifelhaft gelungen, weswegen er den Lessingpreis verdient hat.

Eine Neuerung, die sich bewährt hat

Erneut führte eine Moderatorin durch das Programm der Preisverleihung. Mit interessanten und nachdenklichen Texten bzw. Informationen zu den Laudatorinnen und Laudatoren sowie den Preisträgern gelang es Blanka Weber im guten Sinne kurzweilig durch das Programm zu führen. Ebenfalls zu gefallen wussten Sarina Steger (Saxophon) und Erika (Haufe (Klavier), die mit einer Mischung aus klassischen und modernen Stücken die Preisverleihung musikalisch anspruchsvoll umrahmten.

Th. Käppler

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Foto 1 und 2: Thomas Käppler und Foto 3 und 4: Carsta Off.

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