Ehrung der Opfer am 8. Mai 2022

Am Sonntag, dem 8. Mai 2022 waren über 40 Kamenzerinnen und Kamenzer dem Aufruf des Oberbürgermeisters unter dem Motto „Lasst endlich wieder Frieden sein!“.“ gefolgt und legten am Sowjetischen Grab- und Ehrenmal Blumen und Blumengebinde nieder. Der diesjährige 8. Mai stand unter dem besonderen Vorzeichen des Einmarsches der russischen Armee in das Nachtbarland Ukraine. Somit stellt sich vielen – und nicht nur den Teilnehmerinnen und Teilnehmern – wie dieser politische Gedenktag zu bewerten ist, Die Weite der Fragestellungen fasste ganz gut eine Veranstaltung des Militärhistorischen Museums in Dresden zusammen, die letzte Woche unter dem Titel „Befreier? Besatzer? Eroberer? Nachdenken über den »Tag der Befreiung« in Kriegszeiten“ stattfand. In diesem Spektrum bewegten sich auch – ob ex- oder implizit – die Redner in Kamenz.

Als erster ergriff der Oberbürgermeister Roland Dantz das Wort und wandte sich gegen den z.T. auftretenden Russenhass und Russenphobie. Auch er problematisierte den Begriff „Befreiung“ dahingehend, dass dies von vielen osteuropäischen Staaten nicht so empfunden wurde. Eingehend auf die aktuelle Situation in Mariupol und mit Verweis auf Luban (Lauban), eine Stadt, die sich nicht rechtzeitig ergab und dadurch zu über 60 Prozent zerstört wurde, führte als Beispiel die kampflose und tapfere Übergabe von Kamenz durch Kamenzer der so genannten „Weißen Fahne“ an. Er erinnerte auch daran, dass der Abzug der sowjetischen Streitkräfte Anfang der 90er Jahre, ohne dass ein Schuss fiel. Auch dafür sollten wir als Deutsche, so der Oberbürgermeister, dankbar sein. Im Weiteren ging er auf Kriege der jüngeren Vergangenheit ein, die durch Lügen – als Stichworte seien genannt: Brutkasten (Irak - 1990), Hufeisenplan (Kosovo - 1999) und Chemiewaffen (ebenfalls Irak – 2003) – „begründet“ wurden. Man müsse also sehr genau hinschauen, welche Interessen hinter „Wahrheiten“ stecken, denn Mütter gebären Töchter und Söhne, damit sie leben und nicht Macht- und Profitinteressen geopfert werden. Es geht, gerade in der Stadt Lessings, darum seine Position der (Mit-)Menschlichkeit zu vertreten.

Danach trat Stadtrat Alex Theile, Vorsitzender der Stadtratsfraktion „Die Linke“ ans Mikrofon und stellte zunächst fest, dass er sich mehr Stadträte vor Ort gewünscht hätte. In vielem stimme er mit dem Gesagten des Oberbürgermeisters überein, aber er sehe es richtig an, dass im zweiten Weltkrieg Städte in der Sowjetunion bis zuletzt verteidigt wurden.  Trotzdem gehe es darum, die Diplomatie und nicht den Krieg in den Vordergrund des Handelns zustellen. Er erinnerte dabei auch seinen Großvater, der die Zerstörung Leipzig miterlebt hatte und der ihm als jungen Menschen das Kriegsende als Mahnung ans Herz legte.

Andreas Koch, Vorsitzender des Fördervereins KZ-Außenlager Kamenz-Herrental, erwiderte auf Auffassungen, russische Vertreter von heutigen Ehrenfeiern ausschließen, oder entsprechende Ehrenmale, z.B. in Berlin-Tiergarten (Vorschlag der Berliner CDU), zu entsorgen, dass man sich erinnern möge, wer die Hauptlast des 2. Weltkrieges getragen habe. Dies sei die damalige Sowjetunion gewesen. Von den 55 Millionen Opfern dieses Krieges hatten die Völker der Sowjetunion 27 Millionen zu beklagen. Er wende sich gegen eine Geschichtsklitterung, bei der die Verbrechen der NS-Zeit drohen, relativiert zu werden. „Der 8. Mai trägt uns auf“, so Andreas Koch, „konsequent gegen Faschismus zu kämpfen und ebenso klar für eine Friedensordnung einzutreten, die für alle Völker in Europa eine angemessene Sicherheit beinhaltet.“ Diese Botschaft sei aktueller denn je.

Spontan sprach Siegfried Kruse (Zweiter v.l. auf dem vierten Foto oben) zu den Anwesenden. Er wunderte sich, dass man immer weniger vom Tag der Befreiung spricht. Aus seinem Geschichtsverständnis heraus sei dieser Tag eine Wendung zum Besseren gewesen. Er unterlegte dies auch mit einer kleinen Episode. Dabei sei bei einem Familienausflug an den Rhein ein älterer Herr mit seinem Sohn ins Gespräch gekommen und habe im Zusammenhang mit diesem Thema seinem Sohn erklärt, dass seine Generation, also die des älteren Herrn, aus einer schlechten in eine gute Zeit gegangen sei und dass für die jetzt jüngere Generation die große Gefahr bestände, von einer guten Zeit in eine schlechte zu wechseln. Und, so Siegfried Bruse, es müsse alles dafür getan werden, dass dies eben der jungen Generation nicht widerfährt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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