Was war die DDR - Fluch oder Segen?

Es geht um „diese Spur, die man zurücklassen möchte“

Die ostdeutsche Autorin Brigitte Reimann – Eine Biographie von Carsten Gansel

Der Filmbericht  "Neue Reimann-Biographie sorg für vollen Ratssal "des Senders Lausitzwelle über den Veranstaltungsabend.

Dass Brigitte Reimann, die 1933 geboren und nur knapp 39 Jahre alt wurde, eine Spur, sowohl biographisch als auch literarisch hinterlassen hat, dürfte – zumindest im Osten Deutschlands  – bei der älteren, literarisch interessierten Generation unstrittig sein. Diese zu verfestigen, dazu wird die Biographie, die in diesem Jahr von Prof. Dr. Carsten Gansel im Aufbau Verlag (heute Aufbau Verlage) verlegt wurde, ihren Teil beitragen. Darüber hinaus ist sie – im lessingschen Sinne – vielleicht auch eine Art „Rettung“, wie dieser deutsche Aufklärer sie gegenüber anderen Autoren betrieb. Rettung aber auch in dem Sinne, dass Brigitte Reimann in den heftig geführten Literaturdebatten nach 1990 über den Stellenwert von DDR-Literatur oder Literatur in der DDR bzw. über die DDR keine oder sehr wenig Beachtung fand (siehe Kapitel 1 der Biographie)

Die mit über 700 Seiten daherkommende Beschreibung dieser DDR-Autorin und ihrer Lebensumstände dürfte jetzt und für lange Zeit State of Art sein. Im Übrigen ist sie die erste große, umfassende Biographie über Brigitte Reimann, eine heute noch faszinierende Autorin, deren Leben und Schaffen fast archetypisch dafür steht, mit welchen lebensweltlichen Hoffnungen und Wünschen eine junge Generation nach dem 2. Weltkrieg im Ostteil Deutschlands aufbrach, und die mit und trotz der politischen Umstände, ein freies und selbstbestimmtes Leben, wohl auch im Lichte einer neuen Idee, versuchte. Dass diese Idee und die damit verbundenen Strukturen ihr Versprechen – aus vielerlei Gründen – letztendlich nicht hielten, ist sicher eine bittere Feststellung. Doch darum geht es in Gansels Biographie nicht in erster Linie.

Die Lesung und das Gespräch mit Prof. Dr. Gansel fand im Rahmen der Vortragsreihe der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption im sehr gut besuchten Kamenzer Ratssaal des Rathauses statt. Die Arbeitsstelle ist ein seit 2006 existierendes und dankenswerterweise durch Bund und Land finanziertes Projekt, das in erster Linie darauf zielt „Lessings Ideenwelt und darüber hinaus den geistigen Gehalt der Aufklärungsepoche impulsgebend mit den aktuellen Fragen geistiger und kultureller Entwicklungen in der Bundesrepublik zu verbinden und öffentlichkeitswirksam im Bewusstsein zu halten“. Dafür stand diese Lesung in gewissem Sinne auch exemplarisch.

Eingeführt durch die Leiterin der Städtischen Sammlungen, Dr. Sylke Kaufmann, übernahm im Folgenden die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsstelle, Birka Siwczyk, die Vorstellung des Autors, dem sie eine – im guten Sinne – wissenschaftliche Umtriebigkeit bescheinigte, was sich u. a. anhand von über 100 eigenständigen Publikationen und zahlreichen wissenschaftlichen Ämtern belegen lässt. Für zwei Stunden gelang es ihr mit ihrem Gesprächspartner Gansel, in Teile der Lebenswelt der Autorin Brigitte Reimann einzudringen. Dazu las Gansel verschiedene Passagen aus der Biographie vor und stellte sich den präzisierenden (Nach-)Fragen von Birka Siwczyk. Insgesamt wurde deutlich – und dies war dem Verfasser der Biographie als inhaltliche Ausrichtung sehr wichtig –, dass Gansel nicht ein Leben im Rahmen einer Diktaturerzählung nachzeichnet, die ein gesellschaftlich-individuelles Sein nur – vereinseitigend – unter diesem Gesichtspunkt darstellt, so wichtig dieser auch ist. Vielmehr ging es dem Verfasser um einen kulturgeschichtlichen Zugriff auf die Entwicklung der Autorin, der mehr vermittelt sowie tiefer und breiter „schürft“ als es eine Einordnung in nur politisch-soziale Zusammenhänge strukturell zulässt. Nur so könne man die Frühzeit der DDR eben auch als „Möglichkeitsraum“ (Gansel) zeigen und – diesen Gedanken fortgeführt – als Ort utopischer Potentiale, die heute noch nicht abgegolten und es vielleicht wert sind, revitalisiert zu werden.

Es kann und soll hier nicht auf inhaltliche Einzelheiten der Lesung und des damit verbundenen Gesprächs eingegangen werden. An sich ist das Unterfangen, ein 700 Seiten umfassendes Buch in zwei Stunden vorzustellen, eigentlich zum Scheitern verurteilt und das Schreiben über eine solche Veranstaltung natürlich auch, aber darum geht es sicherlich nicht. Vielmehr hat Gansel eine Biographie vorgelegt, die nicht bei Schwarz-Weiß-Klischees stehen bleibt, sondern anhand einer bemerkenswerten literarischen – weiblichen – Persönlichkeit das komplizierte Leben in der DDR lebendig werden lässt. Er schaut dabei nicht vom (berechtigten) Ende der DDR auf die Vergangenheit bzw. deren Geschichte, was das „Material“ inhaltlich anders angeordnet und ausgelegt hätte, sondern rekonstruiert das Leben aus den konkreten Bedingungen der Zeit. Gansel verwendet hier ganz bewusst die Formulierung „Zeitschaft“, um seinen Ansatz deutlich zu machen.

Dass dieses Konzept anspricht, zeigte sich auch im Anschluss an die Veranstaltung. Viele der Anwesenden ließen sich ihre mitgebrachten Bücher signieren, oder sie erwarben am Büchertisch der Robert Philipp Buchhandlung die Biographie oder Werke von Brigitte Reimann, um Gansel dann ebenfalls um ein Autogramm zu bitten.

Es war ein bemerkenswerter Abend, der im guten Sinne und unaufgeregt dazu inspirierte, das Werk von Brigitte Reimann erneut zu lesen oder aber durch die von Gansel verfasste Biographie – gemeinsam mit der Hauptgestalt verschüttete und überlagerte Teile ostdeutscher Geschichte freizulegen. Und ein Abend, der zeigte, wie wichtig die Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption für Kamenz, die Region und darüber hinaus ist.

Thomas Käppler

Das Buch „Ich bin so gierig nach Leben – Brigitte Reimann. Die Biographie“ von Carsten Gansel ist, wie schon erwähnt, im Aufbau Verlag erschienen, kostet 30 EUR und kann über die Robert Philipp Buchhandlung (Markt 6 in Kamenz) bestellt und erworben sowie auch in der Stadtbibliothek „G.E. Lessing“ ausgeliehen werden.

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