Ort: Stadttheater Kamenz
Lesung mit Reinhard Kärbsch und Aron Boks: „2 x Sitte“ – Moderiert von Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg
Rudolf Sitte (13. Mai 1922 - 4. März 2009), wohl zeitlebens im Schatten seines Bruders Willi stehend, gehört zu den Pionieren der baugebundenen Kunst in der DDR. Sitte hat von 2003 bis 2005 sein interessantes, kreatives und teils tragisches Leben in 72 biografischen Splittern beschrieben: Kindheit und Jugend in der Tschechoslowakei, Kriegseinsatz mit Verletzung, Vertreibung der Familie, Kunststudium in Dresden und Greifswald, Straftätigkeit als Hauer bei der Wismut wegen Formalismustendenzen, freischaffender Künstler, Professor an der Dresdner Hochschule für Bildende Kunst (HfBK), Verhältnis zum Bruder Willi, Auffassungen zu Künstlerkollegen, Traum von einem Kunstschloss Hermsdorf – und über 25 Jahre Katzenpflege mit seiner Frau Jutta. Er ist damit ein Zeitzeuge der vergangenen 100 Jahre deutscher und europäischer Geschichte. 1956 erwirbt er an der HfBK ein Diplom als Wandmaler. Er gründet mit Mitstudenten 1958 in Dresden die Genossenschaft „Kunst am Bau“. Von 1981 bis 1987 lehrt er als erster Hochschullehrer für baugebundene Kunst an seiner einstigen Ausbildungsstätte. Er ist Schöpfer verschiedenartigster künstlerischer Arbeiten, oft mit Mitgliedern der Genossenschaft realisiert (in Dresden das Relief „Der Flug der Kraniche“ in der Holbeinstraße, das Relief „Der Produktionsprozess. Zeitungsherstellung“ im Verlagshaus der Sächsischen Zeitung, Ausgestaltungen in den Mensen der TU, die Skulptur „Stirb und werde“ auf dem Heidefriedhof). Mit Bitterkeit schildert er, wie nach 1990 den Verlust seiner Würde als Mensch und Künstler erleben muss – ausgelöst durch die offizielle Politik, das Verhalten einiger Künstlerkollegen und weiterer Widrigkeiten des gesellschaftlichen Lebens. Der Journalist Reinhard Kärbsch, Kamenz, hat den Text nachträglich bearbeitet, umfangreiche Gesprächs- sowie Rechercheergebnisse hinzugefügt und 2021 als Buch im Selbstverlag anlässlich seines 100. Geburtstages veröffentlicht. In einer gemeinsamen Lesung mit dem Schriftsteller Aron Boks, der ein Buch über den Sittebruder Willi mit dem Titel „Nackt in die DDR“ schrieb, möchte Reinhard Kärbsch sein Buch am 27. Januar 2024, 19 Uhr, im Kamenzer Stadttheater vorstellen. Aron Boks ist der Urgroßneffe von Willi Sitte und hat sich bisher kaum für seinen berühmten Verwandten interessiert. Bis bei einem Familientreffen plötzlich ein Gemälde auftaucht: Die Heilige Familie. Und Aron beginnt, Fragen zu stellen: Wer war Willi Sitte wirklich, was trieb ihn an? Das Gemälde wird zum Ausgangspunkt seiner biografischen Recherche, die ihn mit Geschehnissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders mit den Jahren vor und nach der »Wende« konfrontiert. Aron sammelt, fragt nach und fügt Ereignisse zusammen, die Willi Sitte auf seinem Lebensweg prägten. Zu den Zeitzeugen, mit denen er spricht, gehören neben Ingrid Sitte auch Wolf Biermann, Gerhard Wolf und Volker Braun. Für Aron, der die DDR selbst nicht mehr erlebt hat, zeigt sich der Maler Willi Sitte als Mensch in aller seiner Zerrissenheit. Zwischen Ideologie und Idealismus, Ruhm, Macht, Kunst und Anerkennung. Eine Suche, die uns zu den wichtigsten Fragen der jüngsten Vergangenheit Deutschlands führt.
Die Moderation der Lesung hat Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg übernommen. Tickets: Kamenz-Information, Schulplatz 5, Tel. 03578 / 379-205, VVK: 15 € / 12,50 €, AK: 16 €